Die Geschichte des Tai-Chi-Chuan
Die Anfänge des Tai-Chi-Chuan liegen im Nebel der Überlieferung. Das verwundert einen nicht unbedingt, wenn man bedenkt, dass wir etwa 1000 Jahre in der Zeitgeschichte zurückgehen müssen. Theoretisch könnte man die Entwicklung einfach nachlesen, da in China vieles seit Jahrhunderten dokumentiert wird. Aber leider ist dem hier nicht so: die großen Tai-Chi-Chuan-Meister waren sicherlich Wissende und Eingeweihte der Kampfkünste, jedoch ausnahmslos Analphabeten.
So gab es über die Jahrhunderte zwar Meister, die „von Mund zu Ohr“ unterrichteten, aber nur selten einmal einen Gelehrten, der mit der Materie vertraut war und eine Abhandlung darüber schrieb. Die wenigen Texte, die den Chinesen überliefert sind, stammen denn auch größtenteils von den seltenen schriftkundigen Schülern, die die eine oder andere Lehre schriftlich festhielten.
Ein weiteres großes Hindernis der historischen Belegbarkeit ist, dass gerade Kampfkünste in der Regel – absolut geheim – nur innerhalb der Familie weitergeben wurden, vom Vater zum Sohn. Sie wurden damit weder aufgeschrieben noch wurde öffentlich unterrichtet.
So sind 4 Theorien (man spricht hier eher von Legenden) zum Ursprung des Tai-Chi-Chuans und deren Begründer derzeit vorherrschend:
- Xu Xuanping, der im 8. Jahrhundert (Tang-Dynastie) mystische Kräfte entdeckt haben soll,
- Zhang Sanfeng, der im 12. Jahrhundert als Alchemist im Wudang Gebirge lebte,
- Zhang Shanfeng, der im 15. Jahrhundert als daoistischer Mönch ebenfalls im Wudang-Gebirge lebte, und schließlich
- Wang Zongyue, ein Wandermönch, der Tai-Chi-Chuan im 17. Jahrhundert entwickelte.
Die heute meist verbreitete Legende ist die von Zhang Sanfeng, der im 12. Jahrhundert Kung Fu erlernt hatte und dann auf seiner Suche nach Vollendung die Nähe der Klöster im Wudang-Gebirge aufsuchte.
Dort traf er einen daoistischen Gelehrten, der ihn durch Übungen und Praktiken in den „inneren Künsten“ unterwies. Soweit die Legenden.
Zur Legendenbildung kamen dann auch noch Geschichten hinzu, wie zum Beispiel diejenige: „Vor seiner Hütte soll Zhang Sanfeng einen Kampf zwischen einer Schlange und einer Elster beobachtet haben. Die Schlange wich den Angriffen des Vogels mit kreisförmigen Bewegungen aus und die Attacken gingen ins Leere. Nach einiger Zeit zog sich der erschöpfte Vogel zurück. Beeindruckt vom Sieg der Schlange durch ihre Weichheit und Geschmeidigkeit soll Zhang Sanfeng dann das Tai-Chi-Chuan nach dem Prinzip des Wechsels von Yin Yang erschaffen haben“.
Wissenschaft und Fakten
Kommen wir von den Legenden zu den ersten belegten Fakten: Im 15. Jahrhundert hatte sich der Gelehrte und General Qi Jiguang einen Überblick aller damals betriebenen Kampfkünste verschafft und ein Abhandlung darüber veröffentlicht („Die 32 Arten der Boxformen“). Hier wurden 16 verschiedene Schulen bzw. Stile aufgelistet und beschrieben, das Schattenboxen oder Tai-Chi-Chuan wurde nicht erwähnt.
Qi Jiguang verwendete zwar keine Bezeichnungen wie »innere« oder »äußere Stile«, aber 25 Namen seiner Bewegungen/Techniken wie zum Beispiel die »Einfache Peitsche« finden sich auch in den späteren Tai-Chi-Chuan-Formen der Familie Chen.
Interessant ist aber folgendes: Obgleich die Aussagen historisch umstritten sind, berufen sich die heute lebenden daoistischen Mönche und Kampfkünstler der Wudang-Berge darauf, dass die inneren Kampfkünste (und damit auch das Tai-Chi-Chuan) seit Zhang Sanfeng in ihren Klöstern der Wudang-Berge weitergegeben, entwickelt und tradiert werden.
So soll im 17. Jahrhundert eben einer dieser Mönche, der reisende Wudang-Mönch Wang Zongyue (王宗岳) seine Kampfkunst im Dorf Chenjiagou gelehrt haben, weil er darum gebeten wurde, und so auch den Anstoß zur Gründung des Chen-Stils gegeben haben.
Es wird erzählt, daß der Mönch in das Dorf kam und in einer Herberge übernachtete. Dort gab es eine heftige Auseinandersetzung über die Kampfkünste mit den Dorfbewohnern (die durchweg alle Chen hießen). Es kam zum Kampf und Wang Zongyue besiegte alle. Sehr beeindruckt von seinen Fähigkeiten bat man ihn zu bleiben und dort seine Kunst zu unterrichten, was er auch tat. Von Wang Zongyue gibt es einen klassischen Tai-Chi-Chuan-Text, in welchem zum ersten Male der Begriff Tai-Chi auftaucht und wesentliche Prinzipien des Tai-Chi behandelt werden.
Fest steht aber, dass Familie Chen diesen Stil für sich einnahm, weiterentwickelte und tradierte und als Familiengeheimnis nur an die nachfolgenden Generationen weitergab. Seit dieser Zeit kann man von einem ersten Tai-Chi-Stil sprechen, dem der Familie Chen.
Das Tai-Chi-Chuan der Chen-Familie wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erstmals an einen Außenstehenden weitergegeben.
Die Entstehung der Familienstile
Yang Fukui (1799 – 1872), der bereits die äußeren Kampfkünste studiert hatte und später als Yang Luchan berühmt wurde, hörte von dem legendären Ruf der Chen-Familie und so suchte er sie auf, um von dem Familienoberhaupt Chen Changxing (1771 – 1853) die Kunst zu lernen. Der aber wies ihn ab, da er kein Familienmitglied war. Yang Luchan verlies das Dorf, um nach einiger Zeit zurückzukehren, da er davon gehört hatte, daß die Familie Chen einen Hausdiener suche. Verkleidet in alten Gewändern entdeckte man seinen Täuschungsversuch nicht und nahm ihn an. So konnte er zunächst unauffällig die Chen-Familie beim Training beobachten und die Übungen bei Nacht heimlich trainieren. Eines Tages wurde Chen Changxing von einem Fremden zum Kampf herausgefordert. Yang Luchan bat, für die Chen-Familie kämpfen zu dürfen und gewann den Kampf. Chen Changxing war von dem Talent und Können des Yang Luchan sehr beindruckt und nahm ihn nun als Schüler an. Dennoch war ihm auch späterhin nicht erlaubt, als Nichtfamilien-Mitglied den Stil der Familie Chen zu unterrichten.
Yang Luchan entwickelte das Gelernte weiter und wurde später zum Begründer des Yang-Stils.
Unter Yang Luchans Schülern, war auch der hochtalentierten Wu Yuxiang (1813–1880), der später zum Begründer des Wu-Hao-Stils wurde. Nachdem Wu Yuxiang eine Zeitlang von Yang Luchan gelernt hatte, wollte er sein Wissen beim Meister und Familienoberhaupt Chen Changxing selbst vertiefen, lernte dann aber stattdessen zwei Monate beim Chen-Familienmitglied, Chen Qingping, in Zhaobao. Man erkennt, dass eine Öffnung der Familie Chen nach und nach stattfand.
Der Mandschure Wu Quanyou (1834–1902), selbst ein Kavallerieoffizier der kaiserlichen Hofgarde, lernte zunächst auch bei Yang Luchan in dessen Position als oberster Ausbilder der kaiserlichen Leibgarde. Später gründete Quanyou den Wu-Stil.
Zu beachten ist hier, dass es bei den unten genannten Wu-Stils um zwei verschiedene Familien handelt, also auch um zwei eigenständige Stile!
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Grundlage für die sogenannten „Fünf Familienstile“ gelegt wurden, die anfänglich jeweils innerhalb einer Familie weiterentwickelt und gepflegt wurden: Der Meister gab seinen Stil vollständig an seine Söhne weiter, so dass das Oberhaupt eines Tai-Chi-Chuan-Stils gleichzeitig das Familienoberhaupt war! Zwischen den verschiedenen Familien gab es besonders zur Gründungszeit intensiven Austausch. Die Familienstile sind:
- Chen
- Yang
- Wu-Hao (Familie 武)
- Wu (Familie 吳)
- Sun
Der Chen-Stil ist der älteste Tai-Chi-Chuan-Stil, der Yang-Stil ist der Zweitälteste. Der Yang-Stil in seinen verschiedenen Ausprägungen ist aber der weltweit verbreitetste Stil.
Der Sun-Stil ist der jüngste der fünf Familienstile und wurde in den frühen 1900er Jahren durch den berühmten Meister Sun Lutang (1861–1933) entwickelt. Sun Lutang lernte im Alter von mehr als 50 Jahren den Wu-Hao-Stil. Auf dieser Grundlage hat er später seinen eigenen Tai-Chi-Chuan-Stil entwickelt.
Die meisten in Deutschland praktizierten Tai-Chi-Chuan-Stile sind Varianten der offiziellen Formen oder Abkömmlinge des Chen-, Yang- oder Wu-Familienstils.
Quellen: www.wushan.net/taijiquan/taijiquan_geschichte.htm, https://taiji-forum.de/taichi-taiji/#taijiquan, https://de.wikipedia.org/wiki/Taijiquan, https://de.wikipedia.org/wiki/Yang-Stil, https://de.wikipedia.org/wiki/Sun-StilLao Jia Yi Lu
Lao Jia bedeutet alter Rahmen und beschreibt die frühesten bekannten Formen des Tai-Chi-Chuan im Chen Stil. Yi Lu bedeutet erster Weg, d.h. die erste im System erlernte Form.
Die Lao Ji Yi Lu ist eine der ältesten und bekannten Tai-Chi-Chuan-Formen überhaupt. Sie gilt daher auch als die Form, aus der alle anderen großen Stile entwickelt wurden (entweder direkt wie im Fall des Yang-Stils oder indirekt wie bei den später folgenden Stilen.
Die 75 Bewegung sind wie folgt:
Teil 1 | Übersetzung |
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1. Yu Bei Shi | Vorbereitungsstellung |
2. Jin Gang Dao Dui | Der Wächter des Buddhas stampft mit dem Mörser |
3. Lan Zha Yi | Den Mantel befestigen |
4. Liu Feng Si Bi | Sechsmal versiegeln und viermal verschließen |
5. Dan Bian | Die einzelnen Peitsche |
6. Jin Gang Dao Dui | Der Wächter des Buddhas stampft mit dem Mörser |
7. Bai He Liang Chi | Der weiße Kranich bereitet seine Flügel aus |
8. Xie Xing | Schräge Stellung |
9. Lou Xi | Das Knie umfassen und hochheben |
10. Shang San Bu | Dreifacher Vorwärtschritt |
11. Xie Xing | Schräge Stellung |
12. Lou Xi | Das Knie umfassen und hochheben |
13. Shang San Bu | Dreifacher Vorwärtschritt |
14. Yan Shou Gong Quan | Die Hand verdeckt Arm und Faust |
15. Jin Gang Dao Dui | Der Wächter des Buddhas stampft mit dem Mörser |
Für alle Interessierten: unsere Trainingszeiten können Sie hier einsehen.